Diskussionsbeiträge zum Ukraine-Konflikt

Auf einer Mailingliste, die sich mit politischen Debatten beschäftigt, waren am 11.05.2022 zwei Diskussionsbeiträge zu lesen, die ich mit Zustimmung der Autoren hier anonymisiert veröffentliche.

Erster Beitrag:

(…)

Ich kann mich auch noch sehr gut an die sogenannten Verhandlungen vor Ausbruch des Krieges erinnern. Und an die Kommentierung in unseren Medien. Die Forderung, dass sich die NATO nicht noch weiter nach Osten bis an die Grenzen Russlands ausdehnen soll, wurden bei uns stets als Maximalforderung diffamiert. Und auf die Rechte der souveränen Ukraine verwiesen. Die Forderung, dass die USA keine Raketen an den Grenzen zu Russland aufstellen soll, wurde bei uns als „Weinerlichkeit“ angesehen.

Aus meiner Sicht wäre es deutlich besser gewesen, mit Russland ernsthaft zu verhandeln. Ich will den Krieg nicht rechtfertigen, aber ich denke, es hätte gute Chancen gegeben, ihn zu verhindern.

Mein Eindruck ist leider, dass insbesondere die USA keinerlei Bereitschaft zeigen, zu einem Interessenausgleich mit Russland zu kommen. Sie wollen den Rivalen Russland schwächen, wenn nicht in die Knie zwingen. Inzwischen zusammen mit ihren besten Verbündeten in Deutschland, der grünen Führung. (…)

Was hat Biden zu Beginn seiner Präsidentschaft gesagt? Er wolle sich weniger mit Iran, Nordkorea u.a. befassen, sondern vor allem mit Russland und China. Das tut er nun, sehr gründlich. Und man/frau kann gespannt sein, wie es danach mit China weitergeht.

Die Folgen: Nicht nur der Rivale Russland wird geschwächt, auch der wirtschaftliche Rivale EU. Insbesondere durch die Verhinderung von NordStream II sind in Europa die Gaspreise explodiert. Denn Russland würde natürlich gern viel mehr Gas nach Europa liefern, aber eben nur über NordStream II, das mit viel Geld gebaut worden ist. So ganz unverständlich finde ich das nicht.

Die weiteren Folgen: Atomkraft wird in Europa wieder salonfähig und verlängert oder gar ausgebaut, auch die Abschaltung von Kohlekraftwerken wird verschoben. Auch das extrem klimafeindliche Flüssiggas wird als Ersatz für das vergleichsweise umweltfreundliche russische Gas gekauft.

Und wir alle spüren die gestiegenen Energiepreise im Geldbeutel deutlich. Noch schlimmer finde ich die mittelfristigen Folgen, die durch die mit dem Krieg begründete Aufrüstung kommen werden: Das kann sich ja jeder selbst ausrechnen, dass der Sozialstaat Federn lassen muss, von den Renten bis zum Zuschuss für die Kitas.

Was sagte einer unserer Oberen: „Natürlich leiden wir selbst auch unter den Folgen unserer Sanktionen.“

Nein: Wir leiden an den Folgen Eurer verfehlten Politik (…).

Leider scheint unsere Führung (…) immer weiter auf Eskalation zu setzten. Das Wort Frieden, Waffenstillstand oder ähnliches ist von dort nicht zu hören.

(…)

Zweiter Beitrag:

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Es wird (…) wiederholt behauptet, vor dem 24. Februar sei ja verhandelt worden, aber Putin hätte seine Gesprächspartner verarscht, weswegen man Putin nicht vertrauen könne und jetzt Verhandlungen mit ihm nicht sinnvoll seien. Das ist m. E. Unsinn.

Laut Wikipedia ist eine Verhandlung „… eine Gesprächsform über einen kontroversen Sachverhalt, die durch gegensätzliche Interessen der Parteien gekennzeichnet ist und einen Interessenausgleich beziehungsweise eine Einigung zum Ziel hat.“

Was Putin gewollt hat, hatte er im Dezember ausdrücklich dargelegt. Kurz gefasst soll die NATO Russland vom Leibe bleiben und keine US-Raketen im Umfeld von Russland stationiert werden. Darauf ist „der Westen“ nicht ernsthaft eingegangen.

Es haben daher zwar eine Menge Gespräche stattgefunden, aber keine Verhandlungen.

Seitens der Bellizisten wird ja die These vertreten, Verhandlungen könnten nur sinnvoll geführt werden aus einer Position der Stärke der Ukraine heraus.

Die mir wesentlich plausiblere Gegenthese ist, dass Russland aus einer Position der Demütigung heraus keine ernsthaften Verhandlungen führen sondern dann lieber den Krieg eskalieren wird.

Diese These wird belegt durch:
https://www.focus.de/politik/ausland/interner-bericht-nach-der-kiew-schmach-war-putin-verhandlungsbereit-doch-dann-sank-die-moskwa_id_88962802.html

Ach ja, was die aktuellen russischen Kriegsziele betrifft, bei denen die Bellizisten von einer Wiederherstellung der UdSSR, wenn nicht gleich des gesamten Warschauer Paktes ausgehen. Diese Behauptung wird jedenfalls durch Putins frühere Aussagen und auch aktuell durch seine Rede vorgestern nicht gedeckt (…).

(…)