Kampfpanzer für die Frühjahrsoffensive

Weiter Unklarheit über Lieferung von Leopard 2 an die Ukraine. Die Kampfpanzer werden für eine Frühjahrsoffensive benötigt, bei der es zu Angriffen auf die Krim kommen kann.

20. Januar 2023

RAMSTEIN/BERLIN/WASHINGTON (Bericht der „Informationen zur deutschen Außenpolitik“) – Unmittelbar vor der heutigen Waffenstellerkonferenz auf dem US-Stützpunkt Ramstein schweigt sich die Bundesregierung weiter über eine mögliche Lieferung von Leopard 2-Kampfpanzern an die Ukraine aus. Der Druck, die Kampfpanzer zu liefern, ist gestern erneut gestiegen. Die USA lehnen die Lieferung von M1 Abrams-Panzern ab, verlangen aber von Deutschland, Leopard 2-Panzer an die Ukraine auszuhändigen. Gebraucht werden die Kampfpanzer in hoher Stückzahl einem US-Medienbericht zufolge für eine ukrainische Frühjahrsoffensive, die Militärs aus der Ukraine und den Vereinigten Staaten in diesen Tagen planen. Die Lieferung der dafür nötigen Waffen soll in Ramstein geregelt werden. Washington erklärt sich dem Bericht zufolge nun zur Genehmigung eines umfassenderen Beschusses der Krim bereit. Warnungen, damit könne man Russlands rote Linien überschreiten und eine weitere Kriegseskalation, womöglich gar einen Nuklearangriff auslösen, werden abgewiesen. In der Vergangenheit überschritt der Westen mehrmals Russlands rote Linien – mit dramatischen Folgen. Ein etwaiger Nuklearangriff träfe dabei laut aktuellem Stand Europa, nicht die USA.

Die Leopard 2-Debatte

Vor der heutigen Waffenstellerkonferenz auf dem US-Stützpunkt Ramstein (Rheinland-Pfalz) ist offiziell immer noch nicht bekannt, ob die Ukraine Kampfpanzer des Modells Leopard 2 erhält. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte zuletzt zu erkennen gegeben, er schließe eine solche Lieferung nicht aus, werde sie aber nur genehmigen, wenn die Vereinigten Staaten parallel dazu vorgingen. Das Pentagon hat nun allerdings am Mittwoch mitgeteilt, Washington werde keine M1 Abrams-Kampfpanzer liefern; die Begründung, sie seien zu schwer zu warten und benötigten zu viel Treibstoff, wird von Militärexperten als vorgeschoben eingestuft.[1] Zugleich wurde gestern bestätigt, dass die Biden-Administration Druck auf Berlin ausübt, die Leopard 2-Kampfpanzer zur Verfügung zu stellen. Aus der deutschen Rüstungsindustrie wiederum verlautete, man könne über 100 Kampfpanzer verschiedener Modelle (Leopard 1 und 2, Challenger 1) zeitnah gebrauchsfertig machen.[2] Im In- und Ausland nahm der Druck auf die Bundesregierung gestern weiter zu. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erklärte die – juristisch erforderliche – deutsche Genehmigung für die Überstellung polnischer Leopard-Panzer an die Ukraine für „zweitrangig“.[3] Verteidigungsminister Boris Pistorius traf gestern mit seinem US-Amtskollegen Lloyd Austin zusammen, teilte jedoch keine Ergebnisse mit.

Die ukrainische Frühjahrsoffensive

Ziel der aktuellen Panzerlieferungen ist es laut einem Bericht der New York Times explizit, eine Frühjahrsoffensive der ukrainischen Streitkräfte zu ermöglichen. Die Eile, mit der die Offensive zur Zeit vorbereitet wird, erklärt sich demnach daraus, dass Kiew nicht damit rechnet, den russischen Angriffen über Jahre hin standhalten zu können, und daher eine Wende auf dem Schlachtfeld erzwingen will.[4] Hochrangige Militärs aus der Ukraine und den Vereinigten Staaten sind, wie es in der New York Times heißt, in dieser Woche in Deutschland zusammengetroffen, um die Offensive im Detail zu planen und die benötigten Waffen aufzulisten. Beim heutigen Verteidigungsministertreffen in Ramstein soll geklärt werden, wie die Waffen rechtzeitig beschafft werden können. Die Rede ist dabei von einer Offensive, die zunächst das Gebiet Saporischschja zurückerobern soll – die Stadt Melitopol nach Möglichkeit inklusive. Das würde den russischen Nachschub auf die Krim massiv verkomplizieren. Aus US-Militärkreisen heißt es zudem, vom im Herbst zurückeroberten Cherson aus könne die Ukraine zudem den Nachschub angreifen, der von der Krim her die von Russland eroberten ukrainischen Gebiete erreichen solle. Außerdem könne man im Verlauf der Offensive ohne weiteres auch die Krim selbst attackieren.

Angriffe auf die Krim

Wie umfassend die Angriffe auf die Krim sein dürfen, die Washington zulässt, ist laut der New York Times noch nicht abschließend geklärt. Die Biden-Administration ist offenkundig gewillt, grünes Licht für Attacken in einem größeren Maßstab als zuvor zu geben. Die bisherigen ukrainischen Angriffe auf russische Kriegsschiffe oder auf Luftwaffenstützpunkte auf der Krim hätten nur „gemäßigte“ russische Reaktionen ausgelöst, heißt es; das habe die Befürchtung, Moskau könne mit einem sogenannten taktischen Nuklearschlag antworten, deutlich reduziert.[5] US-Militärs sprechen sich deshalb dafür aus, die Gelegenheit zu nutzen und die Krim in einem größeren Umfang unter Beschuss zu nehmen: Damit könne man der russischen Seite einen „sicheren Hafen“ rauben. Allerdings sei Präsident Joe Biden noch nicht bereit, den ukrainischen Streitkräften Waffen mit großer Reichweite – etwa Raketen – zu überlassen, mit denen sie russische Einrichtungen auf der Krim aus der Ferne im großen Stil beschießen könnten. Auch sei die US-Administration eher skeptisch, dass die Ukraine in der Lage sei, die Halbinsel militärisch zu erobern. Befürchtungen, auf Eroberungsversuche könne Moskau mit dramatischer Eskalation reagieren, seien noch nicht ausgeräumt.

Rote Linien austesten

Das beständige Austesten, wie weit man gehen kann, ohne Russlands rote Linien endgültig zu überschreiten, ist nicht neu. Der Westen und seine Verbündeten haben es mehrmals getan – und dabei mehrmals mit dem Überschreiten roter Linien harte russische Reaktionen ausgelöst. Ein vergleichsweise früher Fall war Georgiens Angriff auf Südossetien im August 2008, mit dem der dortige Waffenstillstand gebrochen wurde; Russland, verantwortlich für die Durchsetzung des Waffenstillstands, antwortete damals, indem es die georgischen Truppen mit militärischer Gewalt zurückschlug.[6] Ein zweites Beispiel bietet der Maidan-Umsturz im Februar 2014, der, vom Westen mit ganzer Kraft unterstützt, die Ukraine endgültig auf EU- und NATO-Kurs brachte; Moskau reagierte – für die westlichen Mächte völlig unvorhergesehen –, indem es im März 2014 die Abspaltung der Krim unterstützte und die Halbinsel in die Russische Föderation aufnahm. Ob es möglich gewesen wäre, den Ukraine-Krieg durch einen Verzicht der NATO auf die Einbindung des Landes abzuwenden, ist ungewiss, aber denkbar; der Westen zog es allerdings vor, Russlands offen erklärte rote Linien auszutesten. Die Ukraine bezahlt dies nun mit zahllosen Todesopfern, immensen Schäden und unermesslichem Leid.

Va banque

Beim gegenwärtigen Austesten von Russlands roten Linien geht es nun nicht mehr um die staatliche Zugehörigkeit einer strategisch zentralen Halbinsel und auch nicht mehr um einen konventionellen Krieg zwischen zwei Ländern, sondern explizit um die Frage, ob Moskau sogenannte taktische Nuklearwaffen einsetzen wird. Mit einem ausdrücklichen Verweis auf die ganz reale Atomkriegsgefahr hat erst kürzlich der prominente US-Außenpolitikexperte Henry Kissinger – ein erklärter Gegner der russischen Politik – dafür plädiert, von einer weiteren Eskalation abzusehen und stattdessen zu Gesprächen über einen Waffenstillstand überzugehen.[7] In Washington wird Kissingers Warnung ignoriert. Die US-Administration kann es sich leisten: Ein etwaiger russischer Nuklearangriff im Ukraine-Krieg würde Europa verwüsten, nicht aber die USA – ganz ähnlich wie schon jetzt der westliche Wirtschaftskrieg gegen Russland und die Energiesanktionen vor allem die Länder Europas belasten, kaum jedoch die Vereinigten Staaten. Dies erklärt, weshalb Washington energischer an der Eskalationsschraube dreht als Berlin. Die Bundesregierung wiederum ist bemüht, das Risiko mit einem geschlossenen transatlantischen Vorgehen zu verringern. Auch damit spielt sie freilich in einer existenziellen Frage va banque.

Mehr zum Thema: Schlüsselfaktor im Offensivkrieg.

Quellen:

[1] Lorenz Hemicker, Majid Sattar, Konrad Schuller, Matthias Wyssuwa: Nur im Gleichschritt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 20.01.2023.

[2] Annett Meiritz, Martin Murphy, Frank Specht, Gregor Waschinski: Deutsche Industrie bietet mehr als 100 Kampfpanzer für Ukraine an. handelsblatt.com 19.01.2023.

[3] Polen deutet „Leopard“-Lieferung an. n-tv.de 19.01.2023.

[4], [5] Helene Cooper, Eric Schmitt, Julian E. Barnes: U.S. Warms to Helping Ukraine Target Crimea. nytimes.com 18.01.2023.

[6] Das damalige Geschehen wird heute gern als angeblicher russischer Überfall auf Georgien dargestellt. Zu den Ereignissen liegt ein umfangreicher Untersuchungsbericht der EU aus dem Jahr 2009 vor, der detailliert belegt, dass Georgien der Aggressor war.

[7] Henry Kissinger: How to avoid another world war. spectator.co.uk.17.12.2022.

Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9137

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